Gottesfurcht: Muss man vor Gott Angst haben?
Muss man vor Gott Angst haben? In den letzten Jahren wurde diese Frage verstärkt diskutiert. Ein paar Gedanken über Gottesfurcht.
Angst ist Teil unseres Lebens. Schon auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir, wie der erste Mensch Adam vor Gott zugibt, dass er Angst hat: „Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich.“ Durch Misstrauen und Ungehorsam hat er sich gemeinsam mit Eva von Gott entfremdet. Seither leben alle Menschen mit unterschiedlichen Facetten der Furcht, z.B. mit Furcht vor Naturgewalten (Matthäus 14,30), Menschenfurcht (Johannes 7,13) oder Todesfurcht (Psalm 55,5). In diesem Sinne könnte man Furcht als Angst des Menschen vor den Bedrohungen des Lebens bezeichnen.
Immer wieder fordert uns die Bibel dazu auf Gott zu fürchten (z.B. Sprüche 9,10 oder 1. Petrus 2,17). Doch welche Art von Furcht ist damit gemeint? In Jeremia 32,40 (Zürcher) steht: „Einen ewigen Bund werde ich mit ihnen schließen, dass ich mich nicht von ihnen abwende und nicht aufhöre, ihnen Gutes zu tun; und die Furcht vor mir werde ich ihnen ins Herz legen, damit sie nicht abtrünnig werden von mir.“
Gott verspricht seinem Volk einen neuen ewigen Bund und dass er ihnen die „Furcht vor ihm“ ins Herz legt, damit sie nicht abtrünnig werden. Wenige Verse danach lesen wir in Jeremia 33,9: „Sie werden zittern und beben all des Guten und all des Heils wegen, das ich für sie wirke.“ Jeremia spricht von einem ergreifenden Staunen darüber, wie gütig und gnädig Gott ist, welches sich sogar körperlich auswirkt. Mit der Verheißung des ewigen Bundes wird die Neuschöpfung in Christus prophetisch angekündigt. Mit diesem neuen Leben legt Gott die Gottesfurcht in das Herz der Geretteten. Er will damit bewirken, dass sie für immer und ewig bei ihm bleiben und ihm vertrauen.
Einige Theologen (Calvin, Spurgeon, Edwards, Reeves) unterscheiden bei der Furcht Gottes zwei Grundsituationen: Eine „Sünder-Furcht“ und eine „Sohnes-Furcht“. Diejenigen, die Gott lediglich durch die Schöpfung kennen und noch keine Kinder Gottes sind, haben eine „Sünder-Furcht“ vor Gott. Sie begreifen möglicherweise seine Macht als Schöpfer und Richter, aber sind Gott entfremdet und fern von ihm, genauso wie Adam nach dem Sündenfall. Martin Luther hat diesen Zustand schmerzhaft durchlebt und so beschrieben: „Ich hasste den gerechten und die Sünder strafenden Gott und empörte mich im Stillen gegen Gott.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er Jesus Christus noch nicht als gnädigen Retter und Erlöser erkannt. Insofern war für ihn auch das Wort aus Hebräer 10,31 noch eine zutreffende und reale Angst: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“
Wer sich aber durch Jesus retten lässt, bekommt ein neues, zu Gott passendes Leben geschenkt und gehört damit zur Familie Gottes. Gott ist durch die Wiedergeburt, von der Jesus in Johannes 3 spricht, unser Vater. Aus dieser neu geschenkten Wirklichkeit kann sich dann die „Sohnes-Furcht“ entwickeln. Diese Art ist angstfrei. Vielmehr handelt es sich um eine Liebe und Achtung, die zittert, denn ihr Gegenüber, der Gott und Vater, ist überwältigend und unvergleichlich schön, heilig und herrlich. Die Furcht Gottes ist ein Feuer in den Knochen und im Herzen. Sie berührt den Verstand, aber sie erreicht auch den Körper und weckt unsere Zuneigung und Anbetung. Diese Gottesfurcht ist eine von ganzem Herzen kommende Freude daran, Gott, unseren Vater zu kennen und von ihm erkannt zu werden.
In Jesaja 11,2+3 finden wir eine Prophezeiung über den kommenden Messias. Es heißt dort, dass der Messias mit dem Geist der „Furcht des Herrn“ erfüllt sein wird, und dass er Wohlgefallen an der „Furcht des Herrn“ hat. Jesus selbst, der Sohn Gottes, war sündlos und ohne Angst vor Gott, aber erfüllt von der Furcht Gottes. So besteht der tiefste Ausdruck der Gottesfurcht für wiedergeborene Töchter und Söhne Gottes nicht darin, dass sie vor einem Schöpfer und Richter zittern, der mächtig ist. Der angemessene Ausdruck ihrer Gottesfurcht besteht vielmehr darin, dass sie Jesu Freude an seinem heiligen, liebenden Vater und seinen Wunsch, ihn zu verherrlichen, teilen. Gemeinsam mit dem menschgewordenen Jesus staunen wir in der „Furcht des Herrn“ über die Güte, Rechtschaffenheit, Herrlichkeit und Großartigkeit unseres geliebten Vaters.